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Wolfgang Steudle und Ingrid Stanger „Dada im Renninger Rathaus“

Es lebe der Dadaismus! (Das Rathaus und ein anonymer Künstler)

Im Rathaus muss es einen Künstler geben! Oder eine Künstlerin. Eine, die den Mitgliedern des Kunstforums nicht bekannt ist. Das ist jetzt keine Forderung zur geheimen Erweiterung der Zusammensetzung der Belegschaft oder des Gemeinderats. Es gibt diesen Künstler. Und er gibt sich nicht zu erkennen. Die laufende Ausstellung des Kunstforums im Rathaus wurde auf geheimnisvolle Weise jedenfalls um zwei Werke erweitert. Den Skulpturen von Wolfgang Steudle – einem klassischen weiblichen Torso in Stein – und von Ingrid Stanger – einer Altholzstele, die eine Sichel und einen nicht vollständig in Stein ausgearbeiteten weiblichen Kopf trägt – und ihrem großformatigen Gemälde, den Ausschnitt eines alten Holzschiffes darstellend, fehlte bisher ein wechselseitiger innerer Bezug.


In der zweiten KW dieses Jahres nun wurden – und in dieser Woche nur noch morgen, Freitag, werden – die Ausstellungsbesucherinnen mit einem Fahrrad konfrontiert, das zwi-schen den beiden Skulpturen abgestellt wurde. Es ist mit einem Zettel versehen, dem der Name des angeblichen Finders dieses Rades entnommen werden kann, während das für den Eigentümer vorgesehene Namensfeld unausgefüllt ist. Das Gemälde des Holzschiffes trägt den französischen Namen „bateau abendonné“, dh. verlassenes, aufgegebenes Schiff. Zu diesem gesellt sich nun eine Fundsache.

Der unbekannte Künstler klärt uns nicht auf über seine Gedanken und Intentionen. Es ist Sache der Ausstellungsbesucher, in seiner Aktion das Kunstwerk zu entdecken: „Fahrrad, zwischen zwei Skulpturen, an einer Wand lehnend“. Der Betrachter kann die räumlichen auch noch um Bedeutungsbezüge erweitern, indem er dem Fahrrad einen Titel gibt: „veló abendonné“, verlassenes, aufgegebenes Fahrrad. Staunend stellt man fest, dass hier jemand einen schlichten Gebrauchsgegenstand zu Arbeiten in Beziehung setzt, die den Anspruch erheben, im klassischen Sinne Kunst zu sein. Der industriell gefertigte Gebrauchs-gegenstand in seinen räumlichen und ironischen Bezügen zum Gemälde und zu den Skulpturen wird selbst Kunstgegenstand und mit den anderen zusammen als Gruppe zur Installation!

Der Künstler, die Künstlerin, hat mit einem weiteren Werk zur Ausstellung beigetragen und agiert dabei unter dem Pseudonym „Unbekannt“:


Dieses Werk spricht für sich. Der Künstler macht hier sogar das Etikett zum Teil seines Kunstwerks. Die Ironie gipfelt in dem vom Künstler in Deutscher Mark angegebenen Kaufpreis und dem Vermerk „Verkauft“ auf einem samt dem Etikett von ihm zum Kunstwerk gemachten Gebrauchsgegenstand. Dieser ist in DM nicht käuflich und seiner Natur nach nicht verkäuflich, weil unbeweglich. Es sei denn, der Käufer zahlt in Euro, lässt das Objekt an Ort und Stelle und gibt auf einer anzubringenden Tafel den Mäzen, der das Werk als Leihgabe der Stadt Renningen überlässt…
Der künstlerische Akt liegt in beiden Fällen primär im Auswählen und im Erkennen des Potentials eines „Ready-Made“ als eines mit künstlerischer Bedeutung aufgeladenen Alltags-objektes. Der Künstler hat durch das schlichte Abstellen des Fahrrades in der Umgebung der übrigen Kunstwerke sich dieser bemächtigt, sie mit dem Fahrrad zu einer Installation zusammengefügt und sie ihrer Eigenständigkeit beraubt. Dabei hat er den traditionellen Kunstbegriff ad absurdum geführt. Besser geht es nicht. Es lebe der Dadaismus!
Der/die „Unbekannt“e ist aufgerufen, dem Kunstforum Renningen e.V. beizutreten und es mit seinem Wissen und seinen Ideen zu bereichern!

Text und Fotos: Georg Andrae
Bericht als PDF